Der Contergan-Skandal in Stichworten

Vom 1. Oktober 1957 bis zum 27. November 1961 produziert und vertreibt die Chemie Grünenthal, wie sie damals noch hieß, unter dem Markennamen Contergan den Wirkstoff Thalidomid, der sich besonders hilfreich gegen Schwangerschaftsübelkeit bewährt hat und auch als nicht süchtig machendes Beruhigungs- und Schlafmittel für Schwangere als erprobt erschien.

1957 kam Thalidomid unter dem Warennamen CONTERGAN in der Bundesrepublik in den Handel. Schnell avancierte das neue Medikament zum beliebtesten Schlaf- und Beruhigungsmittel und erwies auch im Ausland als großer Verkaufserfolg.In der DDR wurde das Medikament nach einer Warnung des schwedischen Biochemikers Robert Nilsson als unzureichend geprüft eingestuft und nicht zugelassen. Jedoch wurden bald in 46 Ländern von Lizenzpartnern thalidomidhaltige Präparate vertrieben. Wesentlichen Anteil an diesem Erfolg hatte gezielte Werbung, die völlige Ungiftigkeit und Unschädlichkeit des Wirkstoffs versprach.

Doch bereits zwei Jahre nach Markteinführung wies ein Neurologe auf die Gefahr von Nervenschädigungen infolge einer Langzeitmedikation CONTERGAN hin. In der Folgezeit mehrten sich diese Hinweise, die zeigten, dass die versprochene Ungiftigkeit des Mittels wissenschaftlich nicht haltbar war.

So beantragte Chemie Grünenthal im Mai 1961 bei der zuständigen Überwachungsbehörde im nordrhein-westfälischen Innenministerium die Rezeptpflicht für Thalidomid, welche am 1. August 1961 in Kraft trat. Allerdings war dies nur in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg der Fall, in anderen Bundesländern blieb CONTERGAN auch weiterhin frei in Apotheken erhältlich.

Seit 1959 wurde von Ärzten und Kliniken eine Häufung von furchtbaren Fehlbildungen bei Neugeborenen bemerkt. Da es jedoch kein Meldegesetz für Fehlbildungen gab, blieb das wahre Ausmaß der Katastrophe zunächst im Dunkeln. Dennoch begannen einige Wissenschaftler mit der Suche nach der Ursache dieser Häufung. Die ersten Vermutungen über die Ursache richteten sich auf schädliche Auswirkungen von Atombombenversuchen, die zu jener Zeit heftig diskutiert wurden. Als jedoch klar wurde, dass weder die DDR noch Belgien oder die Schweiz von einer ähnlichen Fehlbildungswelle betroffen war, schied atomare Strahlung als Ursache aus.

Der Hamburger Arzt Widukind Lenz wies als erster den Zusammenhang mit der Einnahme von Contergan nach - auch in Großbritannien und Australien wurden unabhängig die selben Zusammenhänge nachgewiesen. Schon 1961 lagen Grünenthal 1600 Warnungen über beobachtete Fehlbildungen bei Neugeborenen vor. Aber das Medikament wurde weiter vertrieben. Am 16. November 1961 lagen die Ergebnisse von Widukind Lenz vor, aber erst nach einem Artikel in der Welt am Sonntag (26. November 1961) wurde das Medikament anderntags vom Markt genommen.

Die Zahlen sind ungenau: Annähernd 10.000 geschädigte Kinder, davon wahrscheinlich 4.000 in Deutschland wurden geboren, von denen bis heute die Hälfte überlebte. Wie viele die Schwangerschaft nicht überlebt haben, ist unbekannt. In den USA wurde Contergan nach einer Testphase, in der mehrere Kinder mit Behinderung geboren wurden, nicht zugelassen.
In der DDR sind 8 geschädigte Kinder dokumentiert, das Medikament kam wohl per Passierschein über die Grenze.

Es kam zum Prozess: Das Hauptverfahren dauerte vom 18. Januar 1968 bis zum 18. Dezember 1970: Den drei Staatsanwälten und dem Hauptvertreter (RA Karl-Hermann Schulte-Hillen) der 312 Nebenkläger standen zur Verteidigung der 9, zuletzt noch 5 Angeklagten, 20 Strafverteidiger zur Seite, die sie gegen die Anklage wegen vorsätzlicher oder fahrlässiger Körperverletzung und fahrlässiger Tötung verteidigten.

Die Eltern schlossen einen Vergleich: Sie verzichteten auf einen Schadenersatzanspruch in Milliardenhöhe für eine Entschädigung von 100 Millionen Mark. Und sie verzichteten auch darauf, weiter gegen Grünenthal zu klagen.

Am 18. Dezember 1970, dem 283. Verhandlungstag, wurde das Strafverfahren gegen Grünenthal wegen geringfügiger Schuld und mangelnden öffentlichen Interesses nach § 153 StPO eingestellt. Der in die Stiftung eingebrachte Entschädigungsbetrag war schon 1987 verbraucht.

Die heute noch gezahlten Entschädigungen werden voll von der Bundesrepublik Deutschland bezahlt.

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